Die Berliner Hospitality-Agentin Eva Miriam Gerstner teilt ihre Gedanken mit euch: über Gastronomie und Gastfreundschaft, über Corona und wie eine neue Normalität aussehen könnte. Sie spricht Klartext und  manchmal lässt sie, wie wir wohl alle zurzeit, ihren Gefühlen freien Lauf. Dieses Mal ganz besonders anlässlich des plötzlichen Gastro-Restarts.  

Eigentlich sollte hier ein Text stehen über Zielgruppen oder Erlebnisse oder Nachhaltigkeit oder Teamwork … zumindest so etwas in diese Richtung. Da aber jetzt gerade alles wieder anders ist und uns der Eröffnungs-Wahnsinn ereilt, wird das hier jetzt ein bisschen was anderes und etwas recht Persönliches. Im Bezug auf meine Person und insgesamt.

Warum? Weil ich der Meinung bin, dass es momentan vielen da draußen so geht wie mir. Und geteiltes Leid ist halbes Leid. Also eigentlich haben wir ja gar kein „Leid“ – es ist ja alles wunderbar. Denn: Es geht wieder los! Unfassbar!

Für mich war es einer der längsten, zähesten, kältesten und dunkelsten Winter ever. Mein Lifestyle ist es eigentlich, unterwegs zu sein, Menschen zu treffen, zu netzwerken, auf Veranstaltungen zu sein, Workshops zu geben. Immer on the road, immer in Action und immer mit zwei Telefonen in der Hand.

Und im November letzten Jahres wurde ich jäh ausgebremst. Zwangsweise. So wie viele. Und mit dieser Vollbremsung kam dann auch bei mir irgendwann im Februar eine irgendwie geartete Sinnkrise. Ich war mir nicht mehr sicher, ob und wann es wieder losgeht und wie alles künftig sein wird. Ich war verzweifelt darüber, was künftig mit unserer Branche und meinem geliebten Job sein wird. Und was das alles letztlich mit mir und mit allem was ich mir aufgebaut habe machen würde.

Ich habe so viel nachgedacht, dass ich in eine Art Erschöpfungszustand gekommen bin – quasi „burn out“ durch Nixtun.

Stundenlanges scrollen im Internet und auf Social Media, Hang-outs in zahllosen Online-Fortbildungen, immer mit dem Ziel, Lösungen zu finden – und immer gejagt und verfolgt von dem Gefühl, dass alle da draußen momentan mehr und besser performen als ich selbst.

Ich hatte irgendwann so genug vom Onlinesein im Home-Office, unsere Wohnung war entrümpelt, ich hatte schon alle Sport-Challenges durch, gekocht und gebacken hatte ich alle Rezepte, die ich schon immer mal nachkochen und -backen wollte … puhhh!

Frustration hoch 100.

Ich erinnere mich noch genau, als ich Ende Februar 2020 aus Bad Saarow zurück nach Berlin fuhr und im Radio die News gesendet wurden, dass die ITB abgesagt worden ist.

Die Tage zuvor hatte ich bei Hospitality-Kollegen verbracht, deren neue Projekte bewundert, gut gegessen und getrunken, das SPA genossen und einfach eine richtig gute Zeit gehabt. Nichts konnte uns zu diesem Zeitpunkt erschüttern, wir haben auch noch alle über dieses „Corona-Ding“ gelacht.

Falsch gedacht. Mitte März war ich noch in München, wo schon alle die Endzeitstimmung erreicht hatte – und zack: Lockdown.

Nachdem dann Mitte Mai 2020 die Türen und Tore wieder aufgingen, herrschte eine positive Aufbruchsstimmung und wir alle wollten Bäume ausreißen. Ich war mit Frank Rosin unterwegs in Deutschland, wir haben eine tolle „Corona“-Staffel gedreht – und alles boomte. Der Sommer 2020 war richtig gut.

Und dann kam der Herbst.

Ich muss wirklich zugeben, ich habe nicht und niemals gedacht, dass uns so ein Winter bevor stehen würde. Man kann mich als blauäugig oder gutgläubig bezeichnen, okay – aber da hatte ich mich vollauf verkalkuliert. Ich hätte mir das nie ausdenken können, dass das alles so kommen würde. So lange, so zäh, so kräftezehrend. Wir waren nur noch Sorgentelefon, Mut-Zusprecher und Freunde in der Not – dabei waren wir selbst auch einfach nur hilf- und sprachlos, ob der ganzen Situation.

Ja, so war es aber eben dann. Und die Stimmung veränderte sich von Woche zu Woche. Talabwärts. Ich bewundere alle Kollegen so so sehr, was sie in dieser Zeit geschaffen haben: Food-Boxen, Take-away, Online-Handel, Lieferservice … wowowowow. Wo habt ihr nur diese Kraft hergenommen? Mir fehlte sie ganz oft. Meine tiefe und volle Bewunderung.

Ja, und jetzt macht alles auf. Back to normal. Wie letztes Jahr im Juni.

Das Leben wird wieder schneller, Planungen nehmen Fahrt auf, das Wetter wird besser, Lockerungen werden immer lockerer, alles startet wieder an. Aber wir haben eben diese 15 Monate hinter uns. Und das hat weh getan, viel kaputt gemacht, manches auf Null gesetzt und vieles verändert. Es werden Probleme bzw. Herausforderungen sichtbar, die wir vielleicht so vorher noch gar nicht wirklich beachtet haben. Der Mitarbeitermangel, die neuen Auflagen, die hohe und plötzliche Nachfrage, neue Erwartungen der Gäste, Nachhaltigkeits-Themen, Preiserhöhungen …

Es war alles schon heftig genug in den letzten 15 Monaten. Und jetzt kommt von außen alles ungebremst noch dazu. Alles erscheint doppelt so stressig. Man ist viel schneller müde, man erträgt gar nicht mehr so viel. Man ist dünnhäutig, irgendwie trotz allem genervt – und die Arbeit geht einfach momentan nicht leicht von der Hand.

Klar, wir haben ja auch über ein Jahr in einer kompletten Blase gelebt. Oder zumindest im letzten halben Jahr. Ausgebremst, in einer Parallelwelt.

Und jetzt kommt mein erhobener Arm: Wir müssen jetzt aufpassen! Auf uns, auf unsere Familien, auf unsere Mitarbeiter*innen, auf unsere Geschäfte. Aufpassen, dass sie nicht ausbrennen im Eröffnungsfeuerwerk.

Unsere Herausforderung besteht nun darin, vorsichtig, sachte und überlegt den U-Turn zu managen, sowohl privat, als auch beruflich. Und bei all dem, was um uns herum passiert, nicht uns selbst zu vergessen.

Was ich empfehlen kann? Nicht als Berater, und nicht als Agenturmensch, sondern einfach als ich?

Seid achtsam. Beobachtet alles ganz konzentriert. Lasst euch von all dem Zeugs da draußen jetzt nicht wahnsinnig machen. Macht nur das was, ihr wirklich könnt und vor allem auch wollt. Hört auf euer Bauchgefühl. Nehmt euch raus, wenn ihr merkt, dass das Dröhnen grad wieder viel zu laut wird.

Nehmt euch eine halbe Stunde Zeit für eine Kaffeepause oder für eine kurze Sporteinheit. Nehmt euch Zeit für Freunde und Familie. Viel zu viel ist auf der Strecke geblieben. Und oftmals war man anwesend, ohne wirklich da zu sein.

Ihr habt so viel gegeben in den letzten Monaten. Gebt jetzt auch alles. Aber achtet auf euch, auf eure innere Stimme, auf eure Gefühlslage und nehmt euch Zeit für eure Ruhepausen. Bitte passt auf euch auf.