Die Berliner Hospitality-Agentin Eva Miriam Gerstner teilt ihre Gedanken mit euch: über Gastronomie und Gastfreundschaft, über Corona und wie eine neue Normalität aussehen könnte. Dieses Mal geht es um ein Thema, das zurzeit wohl alle Betriebe betrifft: Wir finden und binden wir nach dem Restart Personal? 

Überall in Berlin das gleiche Bild: Zettel an den Fensterscheiben der Eisdielen, kreative Poster und Plakate an den Strassenlaternen der Eckkneipen, die Pinnwände der Kiezbüros sind voll – gefühlt suchen alle Gastronomiebetriebe nach Mitarbeitern. Und das nicht nur in Berlin.

Online dasselbe in Grün: Instagram, Facebook und LinkedIn, alles voll mit Stellenanzeigen, Gastro-Newsletter sind gespickt mit Aufrufen für tolle Sommerjobs. Die bekannten Job-Portale: ebenso voll. Auch unser Telefon steht seit Tagen nicht still: drei bis vier Anrufe am Tag, ob wir jemanden kennen und ob wir helfen können. Diese Krise hatte sich angekündigt: die (Mitarbeiter-)Krise nach der (Corona-)Krise.

Rund vier Wochen nach der Wiedereröffnung der Betriebe stecken wir alle schneller mittendrin als gedacht. Aus dem Fachkräftemangel, der schon vor der Pandemie zur Krisenstimmung in der Branche geführt hatte, wurde ein Brandherd aus generellem Mitarbeitermangel. Und ich prognostiziere: Diese Situation wird für einige Betriebe ein Vollgas-Fiasko mit ungutem Ausgang sein.

Die Ursachen wurden hinlänglich diskutiert. Wir kennen die Schwachstellen der Branche. Die Herausforderungen. Das hilft so jetzt alles nicht weiter. Kurzfristige Lösungen müssen her. Und auf längere Sicht müssen wir Dinge ändern, da hilft alles Schreien nach Verbänden und staatlicher Unterstützung nicht – jede*r von uns ist alleine dafür verantwortlich, dass es seinem Betrieb gut geht. Und eben auch seinen Mitarbeiter*innen.

Starke These, ich weiß, aber es hilft ja alles nichts. Die Branche hat eine wahnsinnige Kreativität in der Krise, im Lockdown entwickelt – diese gilt es jetzt zu übertragen u.a. in den Bereich der Mitarbeiter*innensuche und -förderung, in den Zusammenhalt der Teams und das Halten der Leute in den Betrieben.

Wir hören vermehrt Geschichten von unseren Kollegen, dass Mitarbeiter „plötzlich“ kommen und sagen: „Ich arbeite nur noch unter der Woche, oder nur noch von dann bis dann, sonst gehe ich woanders hin!“ „Ich möchte das und das und das, sonst gehe ich woanders hin!“ Stimmen aus der Küche: „Ich koche das, was ich möchte, sonst gehe ich!“ …

Und zähneknirschend geht man in die Knie, weil besser diesen Mitarbeitenden,als gar keinen. Stimmung: unterirdisch. Fakt ist: Das alles können wir jetzt nicht gebrauchen, nicht nach all den Monaten im Lockdown. Und: Diese „My Way or Highway“-Mentalität kann letztlich auch nicht die Lösung sein, das ist für beide Seiten der Untergang. Vor allem hilft diese am Ende weder den Mitarbeiter*innen, noch den Chef*innen – und schon gar nicht den Betrieben.

Die Frage ist: Was ist zu tun?

Als Kopf eines Betriebes ist es erst einmal wichtig, aus dieser desperaten Bedürfnis-Spirale auszusteigen, klar zu analysieren und Fakten zu schaffen!

A: die Mitarbeiter*innensuche

Unsere Aufgabe im Management ist es, den Betrieb mit einem ehrlichen und guten Branding zu etablieren, das Image aufzubauen oder zu vertiefen, ein sehr sehr guter Arbeitgeber zu sein. Sehr sehr gut reicht eigentlich auch in diesem Fall nicht mehr aus – merke: Der Kampf um Mitarbeiter*innen hat gerade erst begonnen!

Man muss in diesen Zeiten zur Superlative werden und der beste Arbeitgeber in der ganzen Stadt, in der ganzen Region, einfach überall sein. Oder sich nun dazu entwickeln. Inhaltlich muss man dem natürlich immer nach kommen. Marktschreier mit nicht nachgehaltenen Aussagen werden schnell enttarnt.

Aber Achtung: Auch dieses sogenannte „Employer Branding“ erfordert eine klare Kommunikation. Offen, ehrlich, geradeaus. Ihr braucht dafür einen klaren Plan und eine strategische Vorgehensweise. Das ist quasi Marketing, mit dem Ziel, Mitarbeiter*innen zu bekommen.

Anzeigen und Postings mit Sätzen wie: „Wir bilden aus!“, „Kommt in unser familiäres Team!“, „Wir suchen Dich!“ … reichen lange nicht mehr aus. Vergesst den Scheiß!

Stattdessen: Sendet tolle Bilder von euch, euren Teams, eurem Betrieb hinaus in die Welt, erzählt über alle mögliche Kanäle, welche Vorteile es hat, bei und mit euch zu arbeiten. Wichtig: Erarbeitet diese Vorteile ganz konkret vorher! Und traut euch was.  Neue Situationen erfordern neue Wege. Fragt euch:

Können Stellen geteilt werden?
Kann man Arbeitszeiten selber mit den Kolleg*innen einteilen?
Werden voll angemeldete Brutto-Löhne bezahlt, die sich positiv auf Rente, Krankheit und Arbeitslosigkeit auswirken?
Gibt es eine aktive Mitarbeit und Mitspracherecht im und am Betrieb?
Wie wird man konkret eingebunden?
Was lernt man – und von wem?
Welche Entwicklungs-, Aufstiegs- und Fortbildungsmaßnahmen gibt es?
Was wird zusätzlich zum Gehalt alles angeboten oder+und übernommen?
Gibt es klare Bonus-Vereinbarungen?
Klare Verantwortlichkeiten auch über den Standard-Job hinaus?
Gibt es Möglichkeiten für eine Vier-Tage Woche?
Für definierte Auszeiten im Monat?

Die Möglichkeiten sind unendlich! Wir müssen endlich auch in unserer Branche aufwachen und Strukturen und Merkmale übernehmen, die uns andere Branchen und die jungen, erfolgreichen Start-ups vorleben. Man kann alles möglich machen, wenn man nur möchte. Oder muss.

Ja, ich weiß, bisher hat es auch alles ohne das alles funktioniert. Heute und in Zukunft wird es das aber nicht mehr tun. Mein Rat: Fangt noch heute damit an!

Außerdem: Lasst eure Mitarbeiter*innen für euch sprechen! Auch hier gibt es mittlerweile super Online-Formate, in die ihr eure Leute einbeziehen könnt. Glückliche Mitarbeiter*innen ziehen andere an, sie sind die besten Sales-Mitabeiter*innen, um neue Kollegen zu finden!

B: Mitarbeiter*innen halten und Teams zusammen zu halten.

Wichtig ist es momentan, diese merkwürdige Form der Abhängigkeiten und dieses unschöne Forderungsmanagement wieder in eine gute Balance zu bekommen. „My Way or Highway!“ ist einfach keine Lösung. Wie so oft im Leben ist das beste Mittel, aufeinander zuzugehen, und zwar bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Die goldene Mitte zu finden.

Und ja, klassisches hierarchisches Denken ist einfach nicht mehr angesagt. Trotzdem trägt einer im Team die Verantwortung (und das ist zumeist die Geschäftsführung, der/die Inhaber*in oder Chef*in).

Daher: Aktive Ansprache. Einzelgespräche führen. Wie fühlen sich die Kolleg*innen, was sind deren Sorgen und Probleme? Was kann man tun? Was ist zu verbessern? Was sind deren Ideen?

Und: Team-Meetings. Was wünschen sich die Teams? Wie kann man jeden einzelnen oder auch kleinere Gruppen aktiv am Verbesserungsmanagement beteiligen? Seid offen für Kritik, für Verbesserungsvorschläge und für komplett Neues. Geht rein in die Teams, sprecht offen und ehrlich auch über eure Sorgen, Ängste und Befürchtungen – und findet zusammen Lösungen. Seid nahbar. Hört zu und traut euch auf neues Terrain. Sensibilität, Einfühlsvermögen und Mut sind jetzt gefragt.

Heißt: Soft Skills nach vorne. Train your Soft Skills.

Teams, die jetzt von empathischen Kolleg*innen mit herausragenden Soft-Skill-Fähigkeiten angeleitet werden, sind am Ende die Gewinner der Krise. Und zwar in allen Bereichen!